SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Anne wird Tom - Klaus wird Lara

>Udo Rauchfleisch< ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut aus der Schweiz. Aufmerksam wurde ich auf ihn durch seine Bücher zum Thema Arbeit mit Straffälligen. Er ist jedoch auch einer der wenigen, die über Transidentität schreiben. Das machte mich neugierig, da ich schon häufiger privat oder auf Arbeit mit diesem Thema zu tun hatte. 

ANNE WIRD TOM - KLAUS WIRD LARA ist ein Ratgeber für Menschen, die als Arbeitgeber, Freund oder Angehöriger mit diesem Thema konfrontiert werden. Ich möchte nicht lange und ausführlich erklären, was "Transident" bedeutet, deswegen hier einfach ein Link zur Organisation >Trans-Ident e.V.<.

Trotz seiner vielen Titel und seiner Fachkompetenz gehört Rauchfleisch zu denen, die ein schwierig zu erklärendes Thema in einfache Worte packen und jedem zugänglich machen. Er beschreibt auf wenigen Seiten, was Transidentität ist und öffnet dabei feinfühlig die Schubladen, die wohl die meisten Leser sofort im Kopf haben. So erklärt er zum Beispiel ganz klar, dass transidente Menschen keinesfalls homophobe Neigungen auf verstecken wollen, sondern es auch unter TIs ebenso viele homo- wie auch bisexuelle Personen gibt wie unter den CIS (Menschen, die im "richtigen" Körper geboren wurden). 

Er zeigt Verständnis dafür, dass der Leser anfangs irritiert ist, sich nur schwer hineinversetzen kann und schildert das Gefühlsleben der Betroffenen. Dabei bleibt er möglichst sachlich und allgemein, denn er möchte klarstellen, dass es DEN transidenten Menschen nicht gibt, sondern jeder Lebenslauf individuell ist und nicht mit dem eines anderen vergleichbar. Er bringt zum besseren Verständnis Fallbeispiele sowohl von Transmännern als auch Transfrauen, bei denen er jedoch immer wieder darauf hinweist, das in einem anderen Fall bei einer anderen Person die Situation jeweils völlig anders aussehen könnten. 

Nach dem Einstieg beschreibt er, welche Veränderungen es körperlich gibt und auf welche Weise Angehörige / Arbeitgeber den Betroffenen unterstützen können. Das Coming Out bekommt ein eigenes Kapitel und beschreibt, auf welche Weise es allen Beteiligten leichter fällt, über dieses für viele Menschen schambesetzte und fremdartige Thema zu reden. Er macht es dem Leser leicht, es als etwas völlig Selbstverständliches zu betrachten und die Scheu vor dem Gegenüber zu verlieren, weckt Interesse und vor allem Verständnis. 

Ein großer Bereich ist das Thema Diskriminierung. So sorgt sich etwa der Arbeitgeber, ob der Mitarbeiter nun Diskriminierungen ausgesetzt sein wird. Und die Eltern fürchten dass das Kind auf der Straße nun angegriffen werden und Gewalt ausgesetzt sein könnte. Rauchfleisch verharmlost diesen Bereich nicht, nimmt aber dem Leser die Angst. 

Den größten Teil nimmt am Ende der Bereich Ehe und Familie ein. Wie geht der Ehemann damit um, wenn seine Frau plötzlich sagt, sie sei auch ein Mann? Wie kann man es den Kindern erklären, und wie werden die Mitschüler des Sohnes reagieren? Gilt die Frau nun als "lesbisch", wenn sie bisher heterosexuell mit einem Mann verheiratet war, dieser nun aber eine Frau wird und beide die Beziehung aufrecht erhalten? Manchem Leser mag sich da bereits alles im Kopf drehen, doch Rauchfleisch ist sehr geduldig und einfühlsam. 

Stellenweise, muss ich sagen, empfand ich das Buch fast etwas ZU einfühlsam. Denn der Autor verwendet sehr oft Sätze wie "das mag für Sie sehr verwirrend sein" oder "es ist verständlich, wenn Sie nun aufgewühlt sind, nachdem Ihr Sohn sich Ihnen offenbart hat". Durch solche Formulierungen unterstellt er dem Leser Gefühle, die dieser vielleicht gar nicht hat. Da ich selbst sehr aufgeschlossen bin und keinerlei Berührungsängste habe, fand ich das stellenweise etwas zuviel des Guten. Dennoch, man muss ich genau überlegen, für welche Zielgruppe das Buch geschrieben wurde. Und ich bin sicher, dass seine Vorwegnahme an Gefühlen und Eindrücken wohl auf die meisten der Leser zutrifft. Er baut damit eine Hemmschwelle ab und zeigt immer wieder "hey, das ist okay, wenn Dein Weltbild erschüttert ist und Du erstmal Angst hast, und deswegen möchte ich Dir erklären, dass es gar nicht so schlimm ist". 

Es ist ein Fachbuch, wirklich absolut für Einsteiger. Es ist ein Buch, das ein Sohn seiner Mutter in die Hand drückt, wenn er sich ihr offenbart. Ein Buch, das die Mitarbeiterin ihrem Chef empfiehlt, nachdem sie mit dem Gleichstellungsbeauftragten geredet hat. Wer sich noch nie mit diesem Thema auseinandergesetzt hat und mehr darüber wissen möchte, dem ist ANNE WIRD TOM auf jeden Fall zu empfehlen. 


SaschaSalamander 26.08.2014, 08.43

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