SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Fausto

dierssen_fausto_1.JPGEine Stelle aus Fausto, die inhaltlich nicht zu lang ist und veranschaulicht, wie der Humor des Buches gestrickt ist, möchte ich jedoch gerne kurz zitieren. Ich fand es so bildlich und konnte mich so gut in Joschel hineinversetzen, dass ich richtig mit ihm litt. Es ist schon tragisch, wenn die Mutter ihn plötzlich für hochbegabt hält! Bisher hatte sie sich ja wenig um ihn gekümmert, sie erzieht ihn eher antiautoritäter und ist der Ansicht, er solle sich um sich selbst kümmern. Als sie jedoch von seiner vermeintlichen Begabung erfährt, wird sie richtig fürsorglich und beginnt sogar für ihn zu kochen! Was dabei herauskommt, wenn eine Frau wie Hanne kocht? Voilá:

**************************************

In den nächsten zwei Wochen folgten:
Curryhirse mit angebranntem Wirsin, fleisch- und gewürzlose Linsenbolognese, ein bröseliger veganer Hirsepuffer, Fingerhirse, Kolbenhirse, Perlhirse und normale Hirse in den Farbvarianten rot und gelb, schwarz, weiß und bräunlich-unappetitlich, Kutki- nd Foniohirise gekocht, gedämpft, gesotten, als Ragout, als heißer Salat, mit lauwarmem Büffelkäse, mit kaltem Kichererbsenpüesto oder mit Couscouspürree verrührt und vermatscht. [...]

Im Internet stieß ich nach eingehender Recherche auf einer Vogelzüchterseite auf den Artikel "Tod durch Hirsekolben". [...]

Es hatte nichts geholfen, dass ich Hanne eine gebrauchte Ausgabe von Schmeckt nicht - gibt´s nicht von Tim Mälzer geschenkt hatte. Jemand musste es durch Schmeckt nicht - täglich ersetzt haben. [...]

"Aber Hülsenfrüchte sind gut für die Synpasen, weißt Du?"
Synpasen? Waren das nicht die Häuser, wo die Juden zum Beten hingingen? Echt unlogisch. Typisch Hanne.
"Für Dein Gehirn", erklärte Hanne. "Hülsenfrüchte sind gut für das Gehirn".
Das war es also!
Die bittere, eiweißreiche Wahrheit. [...]
Jetzt reichte es. Das Essen war keine Gabe der Liebe, sondern Treibstoff für einen Hochbegabten. "Das Essen ist nicht für mich, sondern für mein Gehirn?"
"Für die Synpasen." [...]
Ich schob den Teller weg und stand auf.
"Habe ich was Falsches gesagt? Wo gehst Du hin, Joschel?"
"Zu McDonald´s", sagte ich. "Synpapsen töten".
Unten im Hausflur schlug ich meine Stirn langsam gegen die verbeulten Briefkästen, wartete auf den Schmerz und stellte mir vor, wie eine Handvoll zitternde Synpasen den Geist aufgaben.

(aus: Oliver Dierssen: Fausto; Heyne 2011; S. 61 - 63)

SaschaSalamander 03.06.2011, 16.21

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von nija

*lach* Das war auch eine von meinen Lieblingsstellen.

vom 03.06.2011, 17.19
Antwort von SaschaSalamander:

aaah, dann war das bei Dir gewesen ... hatte nicht mehr alle Blogs durchforstet, aber jetzt hab ich sie nochmal gelesen. Kein Wunder, dass ich nach dieser Rezi das Buch unbedingt haben musste! Und es hat sich wirklich gelohnt, ich bin jetzt Fausto-Fan ;-)

Diese Stelle hier war die beste von allen! Aber auch viele andere Sachen waren genial, z.B. die Sache mit den Feuchttüchern bei der Psychologin (aber sowas kann man hier nicht wiedergeben ohne lange Erklärung). Oder der traurige Moment, als man von der Überraschung nach dem Wettbewerb erfuhr. Es macht mich immer richtig kribbelig, wenn ich den Lesern etwas mitteilen will und wie hier bei diesem Buch nicht kann! Die Gefühle für dieses Buch (das Mitfiebern, das Mithibbeln, Mitschämen, das Hoffen und Bangen), das lässt sich leider nicht wirklich in Worte fassen wie ich möchte ...

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