SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Level 26

zuiker_level26_1.jpgNun habe ich also "Level 26" gelesen / gesehen, und ich möchte Euch meine Meinung dazu nicht vorenthalten. Schließlich geht es um die neue "Erzählform 2.0", auch "Digi-Novel". Groß angepriesen, großflächig vermarktet und auf jeden Fall etwas ganz Besonderes. Heißt es überall. Die Meinungen dazu sind geteilt, und meine ist eher "knapp unter Mittelmaß". Gerne etwas detaillierter, warum dieser Hype mich nicht ergreifen konnte. Ein wenig Geduld bitte ich mitzubringen, denn diese Rezension wird lang, beschreibe ich doch schließlich nicht nur ein Buch, sondern auch noch einen Film dazu.

Ein brutaler Killer, Sqweegel. So brutal, dass für ihn eine eigene Charakterisierung geschaffen wurde, welche die Skala der bisher begangen Verbrechen sprengt, bisher galten Verbrechen von harmlosen Taten 1 bis hin zu grausamen Folterungen, Verstümmelungen auf Stufe 25, für diesen Killer wurde ein neues Level erhoben, Level 26. Ein Outsider, Steve Dark, damals mit dem Fall befasst, später seine Familie von diesem Killer ausgerottet. Weitere Morde geschehen, Dark soll zurück ins Boot, nur er kann gegen Sqweegel angehen, doch Dark will nicht. Erst, als seine Frau und das ungeborene Baby in Gefahr sind, entschließt er sich zur Mitarbeit, aber nach eigenen Regeln. Die Jagd auf den brutalsten aller bisher bekannten Killer beginnt.

Das Besondere an diesem Buch: etwa alle 15 bis 25 Seiten kann man einen Code im Internet eingeben, woraufhin eine Videosequenz eingespielt wird. Sie untermalt das Geschehen, gibt neue Hinweise. Allerdings bin ich ein wenig erstaunt, denn ich hatte erwartet, dass die Videos das Buch ergänzen. Tun sie jedoch in meinen Augen nicht, da der Inhalt des Videos später recht genau im Buch erklärt wird. Wer also unterwegs in der U-Bahn oder am Strand nicht den Laptop auspacken will, kann ohne Probleme das Buch lesen und auf die Videos verzichten. Allerdings verstehe ich das nicht, denn ich hatte gehofft, dass Film und Buch miteinander verwoben sind, aber wenn das Buch auch ohne den Film existieren kann, warum dann also? Für eine Innovation wäre etwas mehr Verquickung wünschenswert gewesen.

Die Figuren des Filmes haben nicht so ganz zu dem gepasst, was ich mir selbst vorgestellt hatte, sodass ich beim Lesen dann nicht wirklich ein Bild vor Augen hatte. Normalerweise habe ich beim Lesen ein Bild der Figur im Kopf. Wenn ich später den Film dazu sehe, kann sich dieses Bild ändern, und sollte ich das Buch wieder einmal lesen, dann kehre ich zurück zu meinem eigenen Bild. Dadurch, dass hier nur wenige Minuten zwischen Film und Buch lagen (insgesamt habe ich für das Buch etwa 3 Stunden gebraucht), fiel der Wechsel eher schwer. Beim Film dachte ich "grad sah er für mich noch anders aus", und beim Lesen sah ich dann immer ein verschwommenes Bild, das nicht meines war aber auch nicht das fremde. Geschmackssache, mancher kommt damit klar und finden diese Ergänzung toll, andere stören sich eher daran.

Die Qualität der Filme, auch darüber lässt sich streiten, ich habe viel Positives gelesen im Web. Mich selbst haben sie nicht wirklich überzeugt. Die Schauspieler haben mir nicht sonderlich zugesagt, ich empfand es als recht gestellt, vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch geschraubt, sowohl an das Buch als auch den Film. Aber ich hatte erwartet, wenn es so groß vermarktet wird und als neues Medium angepriesen, dass man dann gleich volles Kaliber auffährt, statt dessen wirkte es stellenweise eher "homemade". War zwar teilweise beabsichtigt, aber dennoch unpassend. Denn der Killer drehte seine Videos teilweise selbst, vielleicht sollte dies simuliert werden. Da jedoch die Kamera sich bewegte, kann es also nicht das Stativ des Killers sein, das etwas aufnahm, sodass das Selfmade wieder wegfiel und nicht sein konnte. Ich fand die Kameraführung recht seltsam.

Ich denke, wenn es ein privates Projekt gewesen wäre, oder wenn es ein neuer Autor auf dem Markt wäre, dann hätte ich das anders bewertet. Aber der Autor Anthony Zuiker ist Drehbuchautor und Produzent (CSI), da hatte ich dann doch etwas anderes erwartet. Ja, ich erwähne hier immer wieder das Wort "Erwartungen", denn dieses Buch wird gehypt. Und der Autor steckt in seinem Vorwort die Erwartungen selbst extrem hoch, ich finde, er hat sich da etwas übernommen in seinem Vorwort.

Was mir allerdings gefiel, das war die Darstellung Sqweegels in den Filmen. Der Schauspieler heißt >Daniel Browning Smith<, weltberühmter Kontortionist (Schlangenmensch). Eingepackt in ein hautenges Ganzkörperkostüm aus weißem Latex, dazu seine reptilienartig anmutenden Bewegungen, das hatte was. Ein paarmal wirkte es unfreiwillig komisch, aber weitgehend sah es wirklich genial aus, auf gewisse Weise sogar schon erotisch (auch durch den Fetischaspekt des Latex, wodurch er jegliche DNA-Spuren am Tatort vermeiden konnte). Sehr kunstvoll gestaltet, das Kostüm sehr gut gewählt, die Bewegungen unvergleichlich und einprägsam, schockierend und doch konnte man nicht wegsehen. Mit Sqweegel hat der Autor eine Figur in der Literatur geschaffen, die man nicht so schnell vergisst und die sich eines Tages vielleicht Kultstatus verdienen könnte. Weniger aufgrund seiner Taten (wirklich brutaler als das, was man sonst oft in den Büchern liest, fand ich dieses Werk hier nicht wirklich, ich hatte es mir um einiges schlimmer vorgestellt), als vielmehr durch sein Äußeres.

Die Darstellung des Killers hat es schon ordentlich in sich. Ich bin sicher, viele Leser / Zuschauer werden nachts erstmal unter dem Bett kontrollieren und hinter die Türen sehen, die Zimmerdecke mit prüfendem Blick betrachten, denn Sqweegel könnte überall sein, unsichtbar, und doch zum Greifen nahe. DAS ist Zuiker auf jeden Fall gelungen, und dieser Aspekt für sich betrachtet hat auf jeden Fall volle Punktzahl verdient!

Für die Videos ist noch eines zu erwähnen: man muss sich dafür auf der zugehörigen Internetseite einloggen. Man wird nach Name, Geburtsdatum und Adresse gefragt. Klar kann man faken, trotzdem mag ich sowas nicht. Ich hinterlasse nirgendwo im Web gerne meine Daten, und ich hasse es, lügen zu müssen, wenn ich für etwas bezahlt habe. Es genügt doch, die Videos mit Passwort zu versehen, warum muss man sich dazu zusätzlich noch einloggen? Später beim Surfen nach Rezis habe ich herausgefunden, dass man die Videos alle auch bei Youtube sehen kann. Ist zwar von den Machern nicht so gewollt, möchte ich künftigen Lesern des Buches aber trotzdem mitteilen ;-)

Wer wissen möchte, was ich mit diesen ungewöhnlichen Bewegungen meine und doch keinen Spoiler in Bezug auf die Filmsequenzen möchte, dem empfehle ich einen kleinen Besuch bei Youtube, sucht dort z.B. nach den Kalutshkikh - Brüdern, nach Daniel Brown Smith oder Rubberboy, dann könnt Ihr Euch das gut vorstellen. Ja, doch, ein Killer mit diesen Fähigkeiten, das ist wirklich gruslig und gefährlich, mit ihm möchte ich mich nur ungern anlegen!

Das Buch selbst hat mich dazu gebracht, es sehr schnell zu lesen, die Spannung war da. Allerdings war es eine Spannung der Art wie ... hm, wie soll ich sagen? Naja, ich liebe Hamburger, und manchmal esse ich einen, zwei, drei, vier, bin danach nicht wirklich satt, und während ich esse, weiß ich, dass es ungesund ist, nichts bringt, viel zu teuer ist und kaum einen Nährwert hat, aber das ist mir dann in diesem Moment egal. Ähnlich ist es mit diesem Buch. Es bereicherte mich nicht, es hat keinerlei Nährwert, es ist sehr flach (warum denke ich bei "flach" wieder an die 1 Euro Hamburger?), aber während des Essens / Lesens ist das egal, der nächste Bissen und noch einer und noch einer, schwupps fertig.

Der Schreibstil ist extrem simpel, sehr einfache Satzkonstrukte, in der Regel kaum länger als eine bis zwei Zeilen. Ideal für zwischendurch, man muss sich nicht wirklich konzentrieren, und verpassen kann man auch nichts. Es gibt auch extrem viele Wiederholungen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft erwähnt wurde, dass Steve eine Mauer um sich herum aufgebaut hat, dass er ein schlimmes Schicksal beim Abschlachten der Pflegefamilie erlitten hatte und dass alle ständig in diesem Buch Kaffee trinken.

So einfach gestrickt die Sätze sind, so platt bleiben auch die Charaktere. Ich habe zwar gespannt gelesen, weil ich mehr wissen wollte. Aber wirklich erfahren habe ich nichts, das Ergebnis war für mich sehr unbefriedigend. Denn ich habe nicht mitgelitten. Mag sein, dass der Killer brutal war, aber das kam bei mir nicht an, denn dazu brauche ich eine Verbindung zum Opfer. Allein die Erwähnung, dass ein Baby in der Ecke saß und zusehen musste, naja, meine Güte, das liest man öfter. Und dass Steves Familie abgeschlachtet wurde, ist tragisch und brutal, aber es wurde weder ausgeführt wie bei manchen Autoren (grade die rechtsmedizinischen Bücher sind da sehr detailverliebt) noch emotional bewegend. Gut, die Familie wurde abgeschlachtet. Aber ich kannte die Familie nicht. Ich wusste nicht, wie lange Steve dort gelebt hatte. Dass es irgendwie hieß, die Familie hätte ihn geliebt wie den eigenen Sohn, den sie später bekam, das ist nett, aber ich lese lieber Taten als Beschreibungen. Vielleicht eine Erinnerung, wie er mit ihnen etwas unternommen hatte. Eine Szene, wie er ins Bett gebracht wurde. Nada, keinerlei Charakterausbau. Und auch die Vorstellung der Charaktere verlief irgendwie seltsam. Da hat eine Figur keinerlei Bedeutung, plötzlich ist sie da und macht eine wichtige Entdeckung, und kurz darauf ist sie eine wichtige Schlüsselrolle am Ende. Bisschen sehr konstruiert für meinen Geschmack.

Der einzige, der Sqweegel schnappen kann, unterscheidet sich für mein Empfinden nicht wirklich von den anderen Ermittlern des Buches, außer durch seine bewusste Langsamkeit, aber das alleine macht ihn nicht zu einem fähigen Ermittler. Aber was ist es dann? In einem Satz wird erwähnt, dass er sehr gut wahrnehmen kann. Ein Satz, und eine Szene, in der er einen Gegenstand findet und eine Szene, in der er etwas hört. Hm, hat mich offen gesagt nicht überzeugt, ich hätte schon gerne etwas mehr gehabt, um mir ihn als Superermittler vorzustellen. Für mich ein Mensch wie jeder andere. Ach ja, doch, er versetzt sich einmal in den Killer hinein, aber das wirkte recht aufgesetzt, weniger nach Superermittler, eher nach einem Autor, der kurz schreibt, wie es sich anfühlen könnte, nun an Stelle des Killers zu agieren.

Insgesamt kam mir der gesamte Schreibstil tatsächlich vor wie ein Drehbuch, und als Film könnte ich mir das sehr gut vorstellen, mit etwas mehr Budget allerdings (wirklich teuer kam mir der Film nicht vor, eher wie "schnell mal was gemacht, um es zu dann teuer zu vermarkten"). Ich glaube, als Film wäre ich ziemlich begeistert, denn die Story hat Potential, und Sqweegel wie gesagt würde ich einen ganzen eigenen Film wünschen. In diesem soll dann bitte seine Vorgeschichte erzählt werden. Denn die gibt es im Buch nicht. Es gibt einige Taten, die er begangen hat, später erfährt man, dass es noch mehr waren. Ich wünsche mir mehr über seine Kindheit, Jugend, Entwicklung. Darüber, warum er so beweglich ist (Talent? Gendefekt? Hat er das gelernt nur für sein Hobby "Töten"? Oder war er mal Artist?). Warum er das getan hat (gut, das Motiv ist klassisch, aber was hat ihn zu dieser Einstellung bewegt? Wie wurde er erzogen?). Welchen Beruf übt er im Alltag aus? Wenn er auf diese Weise greifbarer würde, fände ich ihn wohl auch tatsächlich gruslig, wo ich jetzt eher amüsiert war und den Wahnsinn eher albern denn beängstigend fand.

In einem Film wird auch oft nicht so genau auf Charaktere und Hintergründe eingegangen wie in einem Buch, da genügen Andeutungen oft schon, einfach weil Film ein komplett anderes Medium ist und gänzlich andere Inhalte transportiert. Aber für ein Buch war mir das deutlich zu schwach.

Was mich bei diesem Buch auch wundert ist das Format. Man hätte es um einiges kleiner halten können. Ein sehr breiter Rand, sehr kurze Kapitel (die dafür sorgen, dass man schneller liest, denn "nur ein paar Seiten" liest man nach Beenden des einen Kapitels eher als wenn dann weitere 50 Seiten bis zum nächsten Kapitel warten. Zwischen zwei Filmsequenzen liegen mehrere Kapitel), viel Freiraum durch Leerstellen zwischen den Kapitel, Bildern und Internetcodes. Die Codes bekommen jeweils eine ganze Seite, obwohl es nur ein paar Buchstaben sind, und davor und danach ist meist auch noch eine freie Seite. Warum? Kleiner, handlicher, günstiger, das wäre praktischer gewesen. Wenn man wie ich ungern Leseknicke in die Buchrücken macht, hat man mit diesem echt zu kämpfen. Ich hatte es geschafft, aber ich war gezwungen, das Buch recht verkrampft zu halten.

Aber eines muss ich anmerken: die Bilder im Buch sind toll, die gefallen mir sehr! Ganz ehrlich, die Bilder fand ich das Grusligste am Buch, sie haben mich sehr berührt. Abstrakt und skurill stellenweise, oft nur angedeutet und erst später erkennbar, wenn man den Inhalt des folgenden Kapitels gelesen hat.

Das Ende fand ich sehr enttäuschend. Sehr konstruiert, außerdem viel zu offen (jaja, ich kann es nicht lassen, aber hiermit gebe ich - mal wieder - kund, dass ich es nicht mag, wenn Titel auf Mehrteiler angelegt sind. Und hier ist so verdammt viel offen, dass das Buch eigentlich gar nicht zu Ende ist). Dazu ein blinder Racheakt, der vielleicht nachvollziehbar sein mag, der mich aber nicht überzeugte (und viele andere Leser auch nicht, wenn ich mir einige Kritiker so ansehe).

Alles in allem also, ausnahmsweise mal ein Pro und Contra, nachdem ich so viel getippt habe:

Pro:
+ Pageturner
+ nette Idee mit den Videos
+ hübsche Bilder
+ tolles Cover
+ ein Killer mit Kultstatus
+ super Schauspieler für den Killer
+ man kann das Buch lesen ohne Film

Contra:
- extrem simpel im Schreibstil
- Charaktere absolut flach
- Story hat keinerlei Tiefgang
- ich konnte nicht mitfühlen
- wirkt sehr konstruiert
- mehr ein Drehbuch denn ein Roman
- verspricht sehr viel mehr als es hält
- man muss sich im Internet registrieren
- Filme wirken recht billig produziert
- man kann das Buch lesen ohne Film
- Ende unbefriedigend
- Ende zu offen, zweiter Teil quasi Pflicht

Bildet Euch Eure eigene Meinung ;-)
Ich denke, das Buch hat insofern einen Blick verdient, als es in vielerlei Hinsicht sehr ungewöhnlich ist. Ob es gefällt, das liegt dann beim Betrachter. Aber wenn es nicht gefällt, dann hat es zumindest unterhalten (denn das kann es wirklich gut), und man hat nicht zuviel Zeit investieren müssen.

Was haltet Ihr von diesem Format? Was versprecht Ihr Euch davon, wenn Ihr LEVEL 26 demnächst lesen wollt? Wie gefiel es Euch, als Ihr es gelesen hattet?

SaschaSalamander 29.04.2011, 09.19

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kommentare zu diesem Beitrag

1. von SilkeS.

WOW, was für eine Buchbesprechung!
Lang, ausführlich und super formuliert. Ich ziehe meinen Hut!
Ich selbst habe das Buch letzten September gelesen.
Je gruseliger um so besser, war mein Kritierium und zudem hatte ich tolle Besprechungen zu dem Buch gehört.

Der Anfang war ziemlich kruselig, in der Kirche, wo Squezzel da rumklettert, aber anschließend fand ich das Buch nur "unnötig" brutal und vorhersehbar.
Die Videos habe ich mir nicht anggguckt, zum einen war ich ihm Urlaub und somit nicht in Compinähe zum anderen zu Hause stellte ich fest, daß man sich hat registieren mußte und das wollte ich nicht, nur um mir die Videos anzugucken.



vom 04.05.2011, 15.16
Antwort von SaschaSalamander:

Kürzer hab ich die Rezi nicht gekriegt, das wäre mir schwergefallen ;-)

Ja, der Anfang hatte was in der Kirche, den fand ich klasse ...

Einträge ges.: 3848
ø pro Tag: 0,6
Kommentare: 2801
ø pro Eintrag: 0,7
Online seit dem: 21.04.2005
in Tagen: 6916
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3