SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Schwarze Lügen

Ein Jugendthriller von Kirsten Boie. Ich bewundere die Vielseitigkeit dieser Frau, die zwischen Jugend- und Kinderliteratur wechselt und dabei immer wieder neue gesellschaftskritische und interkulturelle Themen aufgreift. Keines ihrer Bücher ist wie das andere, sodass die Vorfreude jedes Mal groß ist, wenn ich eine Neuerscheinung von ihr in der Hand halte. Diesmal also SCHWARZE LÜGEN.

Melody soll in der Schule ein Solo auf der Klarinette spielen. Doch "der Arsch" (wie sie und ihre Geschwister den neuen Ehemann ihrer Mutter nennen) zerbricht sie im Suff. Melody schämt sich, verschweigt die Sache und geht trotzdem auf das Konzert, um ihre Mutter nicht zu enttäuschen. Doch dann verlässt sie der Mut nach Hause zurückzukehren, und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Ihr Bruder wird unschuldigerweise eines Bankraubes beschuldigt, sie wird als Mitwisserin gesucht, sie hat einen schicksalhaften Zusammenstoß auf der Straße und landet als vermeintlich erwarteter Gast in einer fremden Familie. Nur der Täter weiß um die Zusammenhänge, Melody und ihre Familie geraten in tödliche Gefahr. 

Melody ist eindeutig der Hauptcharakter, der Leser begleitet sie und erlebt das Geschehen so intensiv durch ihre Augen, dass man stellenweise meinen könnte, es sei ein Ich-Erzähler. Doch die Perspektive wechselt, auch die Sicht des Täters wird beschrieben, die des Polizisten sowie die von Melodys neuen Bekanntschaften. Dadurch ist es dem Leser möglich, das Geschehen als Ganzes zu erfassen, während jedem der Beteiligten nur Bruchstücke bekannt sind. 

Die einzelnen Figuren sind sehr gut ausgearbeitet, die Motive nachvollziehbar. Manchmal möchte man vor allem als Erwachsener die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über das, was da nun geplant wird, man möchte Melody zurufen "tu das nicht", möchte ihr vorschlagen was zu tun wäre. Aber dennoch ist dem Leser klar, dass sie in ihrer Situation und mit ihrem Wissen nicht anders hätte handeln können, man kann sich sehr gut in ihre Lage hineinversetzen. 

Der Aufbau ist wie üblich von Kirsten Boie geschickt gestaltet. Man lernt Melodys Familie kennen, erfährt von ihren täglichen Sorgen, und dann beginnt die Geschichte, die erste Spannung baut sich auf, es ist zwar ein Verwechslungsspiel aber noch nicht schlimm, nur ungemütlich, bis es dann immer schlimmer wird bis hin zu einem atemlosen Showdown, der möglicherweise das Leben einzelner Beteiligter kosten könnte. Danach lässt sie sich viel Zeit, wieder zurückzukommen, die Fäden wieder zusammenlaufen zu lassen. Und wie es für Boie üblich ist lässt sie ihre jungen Leser nicht mit den schweren Themen alleine sondern gibt einen Hoffnungsschimmer, der ohne Kitsch aber mit viel Herz alles abrundet. 

Ich hatte mit einem normalen Jugendkrimi oder Jugendthriller gerechnet, daher war ich erstaunt, wieviel Gesellschaftskritik auch hier steckt. Aber gut, es hat mich nicht verwundert, kenne ich die Autorin ja inzwischen. Armut, Ausländerpolitik, Ausgrenzung aus der Gesellschaft, Vorurteile, die Schere aus Arm und Reich, häusliche Gewalt, Drogen, Kriminalität. Sie lässt diese Themen nebenbei einfließen, teils auch ohne sie auszusprechen, und sie spielt selbst mit den Vorurteilen der Leser, indem sie Dinge überraschend erwähnt, sodass sich plötzlich die Sichtweise auf eine Situation oder Person sofort ändert. 

Sprecher des Hörbuches ist Hans Löw. Für >Sachtexte< fand ich ihn bereits herausragend, als Sprecher eines >Jugendromanes< dagegen sagte er mir wenig zu. Das muss ich hier leider wieder bestätigen. Er hat eine angenehme Stimme und kann gut lesen, ja. Aber seine Art, Emotionen auszudrücken wirkt etwas träge. Wenn ein Charakter etwas sagt klingt das durch die erhobene Stimme am Ende des Satzes eher wie eine Frage. Dadurch wirkt alles sehr unruhig, unsicher. Er variiert auch nicht zwischen den Figuren, sodass die von der Autorin geschickt herausgearbeitete Charakterisierung etwas untergeht und sowohl die anfangs zickige reiche Teenager, der tumbe Neffe, die sympathische Heldin, der alte kraftlose Mann und der Gangsterboss alle gleich klingen. Da der Schwerpunkt zudem auf Melody liegt, ist es ungünstig, dass ein Mann als Sprecher gewählt wurde, da hätte ich mir entweder eine Frau gewünscht oder aber mindestens zwei Sprecher für verschiedene Erzählperspektiven. 

Abgesehen vom ungünstig gewählten Sprecher ist SCHWARZE LÜGEN auf jeden Fall wieder ein großartiges Hörbuch, das man sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen sehr gut empfehlen kann. Spannend, mitreißend und dabei so herzlich, dass man die Charaktere wie gute Freunde nur ungern nach dem Hören gehenlassen möchte ... 

SaschaSalamander 13.06.2014, 08.40

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