SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

TransMen of the World

Manuel Ricardo Garcia wünschte sich als Transmann (TM) ein Buch, das von den üblichen Ratgebern abweicht, also beschloss er selbst eines zu veröffentlichen. So, wie er es gerne gelesen hätte: mit Rollenmodellen, Gleichgesinnten, Lebensentwürfen, vielen Bildern und Identifikationsfiguren. Menschen aller Nationalitäten, Altersgruppen, Hautfarben, Kulturen und Stadien der Transition, porträtiert in der ihnen eigenen Umgebung.




Niemand hätte das so gut umsetzen können wie der Autor selbst: 1969 geboren als Kind eines mexikanischen Vaters und einer deutschen Mutter, aufgewachsen in Deutschland, "but looked a hundred percent hispanic" (aber sah zu 100 Prozent hispanisch aus). Er kennt es, zwischen den Geschlechtern, zwischen den Kulturen zu stehen, Außenseiter auf der Suche nach Gleichgesinnten. Er reiste etwa zwei Jahre um die Welt, interviewte und fotografierte andere TM. Er beschreibt im Vorwort auch von den Problemen, Betroffene zu finden. Etwa als er erfahren musste, dass die Trans*Community in der vermeintlichen LGBT-Hochburg San Francisco gar nicht so präsent zu sein scheint. Oder manche Länder, in denen ein Outing die Todesstrafe bedeuten könnte und die Betroffenen ihre Familien schützen wollen. Doch das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen und bietet faszinierende Einblicke in unterschiedliche Biographien rund um den Erdball. 

Das Buch ist komplett auf Englisch. In Anbetracht der Internationalität des Projekts mehr als nachvollziehbar. Und selbst, wenn jemand der englischen Sprache nicht mächtig ist, kann ich das Buch empfehlen, da die Fotos für sich sprechen. Der Text bereichert die Bilder, doch auch ohne dieses Verständnis ist der Bildband auf jeden Fall ein Gewinn für alle Interessierten und Betroffenen.

Folgender Steckbrief wurde von jedem Mann ausgefüllt:

Year of birth / age
Body Height & Weight
Testosterone Therapy for
Number and Type of Surgery 
Regular Workout
Profession
Relationship
Interests / Activities
About me / Characteristics
Philosophy

Das ist sehr intim, etwa die Anzahl und Art der Operationen. Gibt aber einen sehr guten, ungeschönten Einblick, manche die etwa schon viele Operationen und Korrekturen hatten, oder andere welche gar auf Operationen verzichten wollen / müssen oder noch ganz am Anfang ihres Weges stehen. Auch Körpergröße, Gewicht und Workout sind spannend, legen doch viele TM großen Wert auf ihr Äußeres und trainieren hart für ihren männlichen Körper. Die Beziehung ist insofern interessant, als sich sehr viel Offenheit in den Lebensentwürfen spiegelt. Für die Fotos ist es auch interessant, wie lange sie schon Testosteron nehmen und wie alt sie sind. 

Eine Wertung ist unangebracht, aber trotzdem: sie alle sehen großartig aus, wirken trotz ihrer Verwundbarkeit stark und stolz, sie strahlen von innen und das macht sie unglaublich attraktiv. Ich habe schon oft den Satz gehört "warum müssen Transmänner alle nur so verdammt sexy sein". Tja, liebe (Cis)Jungs - harte Arbeit, eine bewegte Lebensgeschichte und und sehr viel Selbstbewusstsein, das zeichnet einen Transmann aus und macht ihn zu dem, was er ist - zu einem Mann mit Profil, Charakter und Ausstrahlung! ;-)

Ein ganzseitiges Foto links, rechts der Steckbrief und darunter ein weiteres Foto. Auf der nächsten Seite wieder links ein Bild über die gesamte Seite, rechts ein weiteres Bild und ein paar persönliche Zeilen. Vier Seiten, auf denen die Bilder dominieren, der Text allerdings ebenfalls Eindruck hinterlässt. Die wenigen Zeilen sind aussagekräftiger, als so mancher ausführliche Bericht es sein könnte. Und die Bilder sprechen für sich: manche ernst, andere nachdenklich, einige strahlend und lachend. Manche zeigen offen ihren Oberkörper, ihre Narben, andere tragen Oberteile. Einige der Männer scheinen sich extra gestylt und herausgeputzt zu haben, andere völlig lässig im Schlabberlook. Hoody, Kettchen und Basecap neben Schlips und Anzug. Es ist großartig, wie viele Menschen hier versammelt wurden, so unterschiedlich, und doch haben sie alle etwas gemeinsam. 

Nur sehr wenige TM sind Ü30, noch weniger Ü40, Ältester ist Henry mit 50. Ich hätte gerne mehr ältere TM gesehen. Oder Männer aus anderen Ländern, während sich hier Deutschland und Südafrika recht häufig wiederholen. Aber das ist keine Kritik, sondern eine persönliche Meinung (und ich vermute, jeder Leser hat einen eigenen Wunsch, wovon er gerne mehr gesehen hätte). Bei der Vielzahl an Männern und Ländern ist es nicht möglich, alles zu zeigen, das würde den Rahmen sprengen. So also musste der Autor eine Auswahl treffen, und das ist ihm mehr als gelungen. 

Es ist ein Titel, den man bedenkenlos Freunden, Angehörigen und Fremden zeigen kann. Denn es wird hier ein sehr menschliches Bild vermittelt. Fernab von Fernsehshows und Voyeurismus werden normale Männer vorgestellt, die sich einsetzen für Offenheit, Gleichberechtigung und Verständnis. Keine Tränendrüse, keine Action, keine wilden Geschichten von  geschlechtsangleichenden OPs oder rührselige Dramen, die sich gut im privaten TV verkaufen. Ich denke, wer dieses Buch liest, wird danach einen völlig anderen (und endlich entmystifizierten, verständnisvollen) Blick auf Transmänner haben. 

Beim Lesen überkam mich sehr oft eine Gänsehaut, einige Male hatte ich sogar Tränen in den Augen. Der Blick, die Augen, die Ausstrahlung der Männer, auch ohne den Text zu lesen löst das bereits sehr viele Emotionen aus. Der Autor / Fotograf hat die Stimmung und Persönlichkeit hervorragend eingefangen, man kann sich gut zwischen den Seiten verlieren, alles um sich herum vergessen und ganz auf die jeweiligen Personen einlassen. 

Es gibt noch sehr viel zu tun für LGBTIQ*-Aktivisten, auch für die Trans*Community. Das zeigen Geschichten wie die von Kourosh, der seine Familie viele Jahre nicht mehr gesehen hat und der aus seiner Heimat geflohen ist, weil zwar die Regierung Geschlechtsangleichungen toleriert, die Gesellschaft jedoch sehr intolerant ist. Auch in Thailand, das man als so offen vermutet, muss Krit mit weiblichem Namen als Mann leben, weil es dort kein Transsexuellengesetz gibt und Dinge wie OP oder Namensänderung nicht oder nur sehr erschwert möglich sind.

Das Cover ziert unter anderem übrigens Niklaus Flütsch, über den ich >hier< vor exakt einem Jahr bereits geschrieben habe.

Da der Bildband nicht wie üblich über den großen Onlineriesen zu beziehen ist, füge ich hier ausnahmsweise mal einen Link bei, wo man das Buch >bestellen< kann. Ein Bericht über das Buch und ein Interview mit dem Autor sind dort auch zu finden :-)

Das Buch ist mit 40 Euro nicht gerade günstig. Da es allerdings ein Bildband ist, misst es 24 mal 30 cm und hat auf 135 Seiten ganze 120 Farbfotos, 60 davon ganzseitig. Gedruckt auf Hochglanzpapier, das jeden Cent wert ist.

TRANSMEN OF THE WORLD ist ein bewegender Bildband, den ich allen Interessierten nur ans Herz legen kann. DANKE allen Betroffenen, die sich hier porträtieren ließen und das Buch zu dem werden lassen, was es ist. DANKE, Manuel, für die Motivation, Vorbild, Inspiration und Power, die Du mit diesem Buch vermittelst! 

SaschaSalamander 01.01.2016, 08.44

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