SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Angriff der Killerkekse

>Wilhelm Ruprecht Frieling< war mir bis dato kein Begriff. Wenn ich ein bisschen stöbere, dann erfahre ich, dass er einen erfolgreichen Verlag betreibt (aaaah, DAHER kam mir der Name bekannt vor, der >Bücherprinz< liegt schon länger auf meinem Sub), selbst vor allem Sachbücher schreibt und auch einige Kurzgeschichten veröffentlicht. Aufmerksam wurde ich auf ANGRIFF DER KILLERKEKSE vor allem wegen des Titels. Gut, man beurteilt ein Buch nicht nach Cover oder Titel, aber irgendeinen Grund braucht man ja, weshalb man gerade zu diesem statt zu einem anderen fremden Werk greift. Dass das Hörbuch zudem von Stefan Kamsinski gesprochen wird, machte die Entscheidung für mich leicht. Ich wollte mich darauf einlassen. Ohne irgendeine Ahnung, was mich erwarten würde. Denn aus dem Klappentext wird man nicht wirklich schlau:

Herr Frieling wird älter. Das gefällt ihm nicht, zumal ihm merkwürdige Dinge passieren. Er bekommt Falten, das Haar wird licht, und in der U-Bahn wird ihm ein Sitzplatz angeboten. Weil er nicht über das Thema sprechen mag, macht er sich darüber lustig und schreibt. In der Interpretation von Stefan Kaminski entfalten seine Reportagen und Geschichten aus dem alltäglichen Wahnsinn ihren vollen Wortwitz. Auch wenn die Skurrilität des Älterwerdens irgendwann jeden einholt, bleibt dank Stimmen-Virtuose Kaminski bei diesem Hörbuch kein Auge trocken.

Zugegeben, vorbereitet auf das, was ich dann hörte, wurde ich durch den Klappentext nicht. Gut, es versprach kurze Episoden, aber "Reportage" klingt doch realistisch, wenn auch mit Humor. Die anfänglichen Geschichten waren auch noch recht real gehalten, werden jedoch von Track zu Track abgedrehter. Mit dem Älterwerden haben nur einige Geschichten etwas zu tun, und ich bin froh, dass ich mich davon nicht abschrecken ließ, denn es vermittelt ein wenig den Touch von den derzeit aktuellen Unterhaltungsromanen rund um hippe Senioren, dafür fühle ich mich doch noch etwas zu jung. Und jetzt überlege ich, wo ich in meiner Beschreibung anfangen soll ... 

Von einem "Aufbau" zu sprechen, ist bei einzelnen Episoden natürlich hinfällig. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass hier geschickt platziert wurde in der Reihenfolge der Tracks: "Der Fußballer, der lahmt" erzählt von einem Mann, der eben nicht wirklich an Fußball Interesse zeigt und wenigstens zur WM Schritt zu halten versucht. "In der Muckibude" handelt, logisch, davon, wie er versucht schrittweise seinen Traumkörper zu erlangen. Beide Texte sind noch recht ruhig, der Humor vorhanden aber noch ein wenig ... lahm (sorry, der musste sein, fünf Euro von mir in die Kasse für schlechte Witze). "Kackwürste mit Kosenamen" dann wird schon etwas schräger. Spätestens bei "Der Tag, an dem ich das Meerschweinchen rettete" ist klar, dass Frieling gerne auch mal die Realität verlässt und sich wild austobt, wenn er vom Shopping der Zukunft erzählt und das Wohnzimmer der Tochter von mehreren virtuellen Haustieren bevölkert wird, die sich dank eines Programmfehlers weigern zurück in den Katalog zu hüpfen. Weiter geht es mit Geschichten vom ständig plappernden Gummibaum und anderen Sonderlichkeiten, bis es dann mit "das hohe Lied der Vergesslichkeit" langsam wieder abklingt und den Hörer wieder durchatmen lässt. 

Auf der CD findet sich nur ein Teil dessen, was im Ebook zu lesen ist (welches mit 3 Euro quasi sogut wie geschenkt ist und nach dm Genuss der CD nun ebenfalls auf meinem Reader zu finden ist). Ich finde die Auswahl gelungen, weil sie unterschiedliche Leser ansprechen dürfte und die Geschichten sich sehr gut voneinander unterscheiden in Stil und Inhalt. Es ist im Grunde nicht wirklich möglich, einen Klappentext zu schreiben, der allen Texten gerecht würde. Die Themen und auch die Erzähltechnik unterscheiden sich zu stark, als das man es alles zusammenfassen könnte. Aber gerade diese Vielfalt ist es, die mir gefällt: Älterwerden, Sci-Fi, hemmungsloses Ablästern vor realem Hintergrund, das Darlegen menschlicher Schwächen und völlig abgefahrene Texte fernab jeglichen Genres. 

Ich denke, nicht jeder Text wird jedem Hörer gefallen. Mir sagten vor allem die schubladenbefreiten und skurrilen Geschichten in der Mitte der CD zu, andere werden vielleicht den glaubwürdigeren und auch gegenwartsbezogenen Humor zu Beginn und Ende mögen, in welchem sie sich selbst wiederfinden können. 

Auch, wenn es schwer ist, Frielings Technik zu generalisieren, und auch wenn ein Hörbuch schwerer auf Sprache hin zu beurteilen ist als ein Ebook (gesprochener Text geht eben nebenher leichter unter als das gelesene Wort) fällt mir trotzdem eines auf: Frieling liebt Alliterationen. Je absurder der Text, desto häufiger die Verwendung dieses einen Stilmittels. Kaminski kostet das voll aus. Allerdings würde ich empfehlen, die Geschichten nicht als CD am Stück zu hören sondern gelegentlich eine kleine Pause einzulegen, irgendwann nutzt es sich ab und verliert an Wirkung, sodass ich doch gelegentlich die Augen verdrehte und dachte "es gibt doch noch mehr, muss es immer das gleiche sein?" Das ist eben das Geheimnis aller Shorties: sie wirken nicht in der Masse, sondern für sich allein. Eine Geschichte am Tag, und man kann es gar nicht erwarten, vor dem Schlafengehen noch flink etwas zu hören / lesen. Mehr, und man wird es schnell über.

Stefan Kaminski tut sein Weiteres, um die Texte von Friehling lebendig werden zu lassen. Wie man es von ihm gewohnt ist, trägt er nicht nur vor, sondern macht auch die passenden Geräusche, verleiht seiner Stimme Melodie, intoniert unterschiedliche Charaktere und macht es mal wieder zur One-Man-Show. Nicht immer ist das möglich (ich habe auch schon Hörbücher gehört, in denen er sich sehr zurückhielt), aber Friehling und Kaminski passen hervorragend zusammen, und die Shorties bieten ihm eine perfekte Bühne, so richtig aus sich herauszugehen und alle Register zu ziehen. Vor allem die Geschichte vom Meerschweinchen entfaltet erst hier so richtig ihre Wirkung. 

Auch, wenn man bereits das Ebook kennt: auf der CD kann der Hörer viele neue Nuancen entdecken und sich von Kaminski vorlesen lassen, wie er die Texte interpretiert. Beides zusammen - unschlagbar!

Alles in allem also: eine hervorragende Auswahl, die geschickt auf der CD platziert wurde. Die Geschichten sprechen eine Vielzahl von Lesern an und bieten eine kleine Auszeit vom tristen Alltag. Aber: unbedingt einzeln hören, sonst nutzt der Humor des Autors sich zu schnell ab ... 


SaschaSalamander 29.07.2014, 08.42

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Ruprecht Frieling

Herzlichen Dank für Deine umfangreiche Rezension! :master:

Die Sache mit der Schubladisierung ist echt kompliziert, und entsprechend schwer fällt es, einen Klappentext zu schreiben, der dem Inhalt gerecht wird. Aber vielleicht hast Du Lust, es zu versuchen? :zwinker:

vom 01.08.2014, 07.42
Antwort von SaschaSalamander:

Oh, ich bin nicht gut im Texten, da fehlt mir die Kreativität, ich analysiere dafür sehr gerne ;-) (wie heißt es so schön, weiß nicht mehr von wem das stammt: "er konnte nicht schreiben, also wurde er Kritiker" *g*) ...

Es ist auch nicht zwangsläufig negativ, dass man erst einmal mit dem Klappentext nichts anfangen kann, denn dadurch macht es neugierig, man will wissen, was sich dahinter verbirgt.

Und: ich liebe es, wenn sich jemand / etwas allen Schubladen entzieht. Das Problem ist oft, dass sich in der Buchhandlung dann kein passendes Regal findet und die Händler es somit nicht bewerben, die Zielgruppe schwer zu erreichen und ermitteln ist und auch die Verlage ein Problem haben es aufzunehmen und stimmig ins Programm einzufügen (praktisch, wenn man da einen eigenen Verlag hat *smile*).

Mein Motto: man muss die Regeln kennen, um sie zu brechen. Aber sobald man die Regeln bricht, verlässt man den vorgegebenen Pfad, ich liebe das Unterholz und folge den Autoren gerne. Nur leider - wie soll man etwas beschreiben, das sich gängigen Beschreibungen entzieht? Man kann höchstens die Neugier wecken und die Leute animieren zu folgen ...

in meinem Klappentext stünde wohl in Ansätzen sowas a la sprengt die Ketten der regulären Erzählkunst ... setzt sich über gängige Klischees hinweg ... verlässt die breitgetretenen Pfade ... tänzelt auf dem dünnen Seil zwischen Realität und Fiktion ... überrascht die Leser mit ungewöhnlichen Ideen ... zeigt pointiert die Tücken des Alltags in all seiner Absurdität ...

hm ... schätze, ich sollte lieber rezensieren ;-)

Einträge ges.: 3848
ø pro Tag: 0,5
Kommentare: 2808
ø pro Eintrag: 0,7
Online seit dem: 21.04.2005
in Tagen: 7107
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3