SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Das Geschenk

Klappentext: Milan Berg steht an einer Ampel, als ein Wagen neben ihm hält. Auf dem Rücksitz ein völlig verängstigtes Mädchen. Verzweifelt presst sie einen Zettel gegen die Scheibe. Ein Hilferuf? Milan kann es nicht lesen – denn er ist Analphabet! Einer von über sechs Millionen in Deutschland. Doch er spürt: Das Mädchen ist in tödlicher Gefahr. Als er die Suche nach ihr aufnimmt, beginnt für ihn eine albtraumhafte Irrfahrt, an deren Ende eine grausame Erkenntnis steht: Manchmal ist die Wahrheit zu entsetzlich, um mit ihr weiter zu leben - und Unwissenheit das größte Geschenk auf Erden.




Eine große Stärke bei Fitzek sind für mich die Charaktere. Schön ausgearbeitet mit Ecken und Kanten, sind sie eigenständige Persönlichkeiten, er hat sich da jedes Mal viele Gedanken gemacht, um Fleisch auf das Grundgerüst zu packen. Die Protagonisten haben etwas Besonderes, das sie von 0815 anderen Personen unterscheidet und das man von Beginn an weiß oder im Laufe der Geschichte erfährt. Sie agieren glaubwürdig und nachvollziehbar, zumindest im Rahmen dessen, was für mich sinnvoll erscheint (wer weiß schon, wie er tatsächlich reagieren würde, wenn so etwas geschieht bzw er/sie selbst die gleichen Einrschränkungen hätte, das sind ja doch alles extreme Ausnahmesituationen).

Man merkt Fitzek auch an, dass er gut recherchiert hat. Das Thema Analphabetismus ist im Alltag weitaus präsenter, als die meisten es ahnen, doch Betroffene können es gut kaschieren und fallen oft nicht auf. Methoden und Möglichkeiten hat er hier sehr gut geschildert (und so drastisch manches klingt, kann ich einiges davon aus meiner beruflichen Erfahrung bestätigen). Auf diese Weise bringt er nebenbei interessante Infos über dieses Thema im Buch ein, was mich zur eigenen Recherche animiert.

Der Aufbau ist wie aus dem Bilderbuch: Einstieg knallhart mitten im Geschehen, bereits der erste Satz ein Catcher, nach dem man unbedingt weiterlesen muss. Dann beginnt in rückblickender Erzählung die eigentliche Handlung. Es ist von Beginn an spannend, dies wird aufrecht erhalten, trotzdem steigt die Spannung gegen Ende noch einmal richtig an, der Bogen geht immer weiter nach oben bis zum Showdown (mit obligatorischem Twist im Twist) und endet mit - natürlich einem Twist.

Die Kapitel sind jeweils sehr kurz, und natürlich enden sie fast alle mit einem Cliffhanger. Da das nächste Kapitel ebenso kurz ist, folgt das obligatorische "nur diese drei Seiten noch, dann leg ich es weg", bis das Buch wenn möglich ohne Pause durchgelesen ist.

Sympathisch wird das Buch durch die teils skurillen bis witzigen Dialoge und jede Menge schrägen Momente, in denen sich Hirnknoten bilden und man sich fragt, ob man das gerade richtig gelesen hat. Manche der Situationen entpuppen sich im Nachhinein als relativ harmlos, bzw es gibt eine einfache Erklärung. Aber allein die Tatsache, dass man wissen will, was dahinter steckt, sorgt ebenfalls dafür, dass man nonstop weiterlesen muss. Fitzek ist ein Meister darin, seine Leser zu fesseln und mit vielen Andeutungen, Hinweisen und auch bewusst gesetzten Sackgassen zu locken. Seine Bücher sind von vorne bis hinten durchdacht und durchgeplottet, ein Stein ruht auf dem anderen und alles ergibt ein Gesamtbild (ob es dann sinnvoll oder logisch ist, sei dahingestellt. Ich sage immer gerne: "wenn es normal und 0815 ist, dann wäre es kein Buch wert, denn normal und 0815 will niemand lesen", daher nehme ich ein paar etwas überdrehte Gedankengänge gerne in Kauf, sofern sie in sich schlüssig sind).

Das Buch wechselt gelegentlich in der Erzählperspektive, auch gibt es einige Rückblicke. Dadurch erfährt der Leser Dinge, die der Protagonist Milan nicht weiß, es wird umso verwirrender. Perfekt dosiert, sodass man dennoch gut am Ball bleibt und nicht vor lauter Handlungsfäden und Hinweisen den Überblick verliert.

Was ich an seinen Büchern sehr schätze: die Handlung ist oft drastisch, eines Thrilles mehr als würdig. Aber er führt blutige, brutale Szenen nicht unnötig aus. Ich sehe für mich keinen Sinn darin, Foltermethoden und Mordszenerien ins kleinste Detail zu beschreiben. Für die Handlung ist eine gewisse Beschreibung nötig, aber alles darüber hinaus ist zuviel und bedient nicht mehr die Handlung (sondern dient anderen Zwecken, aber hier möchte ich mich nicht über Leser / Autoren erheben und gebe nur meine persönliche Meinung kund). Fitzek schreibt, was erforderlich ist, damit das Kopfkino ins Rollen gerät, und die Bilder im Kopf des Lesers sind wohl umso drastischer und effektiver.

Meine persönliche Meinung: ich mag Fitzek. Die meisten seiner Titel gefallen mir sehr. Es gibt auch ein paar wenige, mit denen ich nichts anfangen konnte. Aber alles in allem sind seine Werke für mich Lesegenuss. Ich mag seine durchdachten Plots und liebe es, den Hinweisen zu folgen. In diesem Roman ist alles versammelt, was ich an ihm schätze. Auch, wenn die Auflösung (mal wieder) ziemlich over the top ist, ist DAS GESCHENK eines der Werke, die mir außerordentlich gut gefielen.

Jo, was soll ich sagen? In allen Punkten wieder ein ganz klassicher Fitzek vom ersten bis zum letzten Satz: interessante Story, flüssiger Schreibstil, ein paar Twists, eine mehr oder weniger glaubwürdige Auflösung (darüber lässt sich streiten). Charaktere originell, Spannungsbogen und Aufbau perfekt wie aus dem Lehrbuch für Thrillerautoren. Thriller-Fast-Food für zwischendurch, das hervorragend unterhält :-)

SaschaSalamander 08.11.2019, 08.42

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