SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Mannopoly - KerleKulte: Inszenierung von Männlichkeit

Studenten der Sozialen Arbeit in Esslingen haben als "Projektgruppe Mannopoly" über ein dreiviertel Jahr Interviews mit Männern geführt, um das Thema Männlichkeit näher zu beleuchten. Diese Interviews wurden in dem Buch KERLEKULTE: INSZENIERUNG VON MÄNNLICHKEIT gesammelt.


Die Frage, was einen Mann zum Mann macht, lässt sich nicht wirklich beantworten. Egal wo man sucht, die Antworten könnten unterschiedlicher oft nicht sein. Ob nun Psychologie, Medizin, Soziolgie, Religion, Biologie, Neurologie, jeder rückt andere Details in den Vordergrund.

Aber mich interessiert gar nicht sosehr das, was die Wissenschaft dazu sagt. Mich interessiert vor allem, wie die Gesellschaft dazu steht. Was Harald, Kevin oder Bjarne-Lasse darüber denken, denen ich im Alltag begegne. Was macht einen Mann männlich? Was wird von ihm erwartet, was sollte er vermeiden? Was ist unmännlich, und was ist besonders maskulin? Und vor allem: woran macht ein Mann seine eigene Männlichkeit fest?

KERLEKULTE gibt unzählige Antworten. Keine richtigen, keine falschen, nur individuelle. Die Interviewer stellen anfangs Fragen zum Thema (zB Feuerwehr, Gefängnis, Kloster, Pfadfinder, Jungschar, Extremsport etc) und tasten sich über die Antworten vor zum Frauenbild und dann den Kern der Männlichkeit.

Die Jungen und Männer antworten hier recht offen, die Interviews sind zwar auf Hochdeutsch geschrieben (DANKE! Ich habe genügend Bachelor- und Facharbeiten gelesen, in denen auch Widergabe im Dialekt erforderlich war, das war kaum lesbar), der Wortlaut allerdings (Szene, Slang, abgebrochene Sätze, falsche Grammatik usw) wurde wie in Transskripten üblich übernommen.

Schön ist auch, dass die Interviewer zwar auf das Gesagte eingehen statt vorgefertigte Fragen zu stellen, dass sie aber soweit als möglich keine Richtung vorgeben. Ob nun Körperkult, Machogehabe, vergeistigte Spiritualität, das Bild der Powerfrau oder des braven Hausmütterchens, alles hat seinen Platz, die Befragten werden nicht bewertet, und alle Aussagen stehen gleichwertig nebeneinander. Besonders gut finde ich das an den Punkten, wo die Interviewpartner manchmal sogar anfangen, abwertend über Frauen oder in ihren Augen unmännliche Männer zu reden. Es tut weh, wenn die Interviewer nicht dagegenreden, aber nur so ist es tatsächlich möglich, viele Meinungen nebeneinander bestehen und den Leser selbst sein eigenes Bild finden zu lassen.

Gut gewählt sind die Orte, an denen die Interviews geführt werden. Es gibt zum Beispiel Einblick in geschlossene Bereiche. Geschlossen nicht nur für Frauen, sondern auch für Außenstehende, zum Beispiel ein Gefängnis, eine Studentenverbindung, ein Kloster oder die Bundeswehr. Die Fragen hierzu sind sehr spannend zu lesen, so erfährt man etwa Näheres über die schlagenden Verbindungen der Studenten, die sieben Pflichtposen beim Bodybuilding oder den Alltag hinter Gittern. Aber auch in den offenen Bereichen gibt es typisch männliche Orte mit nur sehr geringem Frauenanteil, etwa die Feuerwehr, den Extremsport, einen Motorradclub, Lan-Parties, Fußball-Ultras. Und neben all diesen Männerdomänen gibt es auch Einblicke in Bereiche, die eher mit Weiblichkeit assoziiert sind. Sozialarbeiter, Ballett-Schule, Foto-Model, Musicaldarsteller, Krankenpfleger, queere Clubs. 

Ich freute mich, dass einige Interviews zu lesen sind, die gängige Klischees absolut an die Wand fahren. Etwa ein 15jähriger, der deutlich reifer ist, als sein Hobby es vermuten lässt. Oder ein Türsteher, dessen Vorbild Gandhi mit seinem gewaltlosen Widerstand ist. Auch werden beim Leser Klischees entkräftet, etwa dass Metall immer lange Haare und düstere Klamotten bedeuten muss.

Natürlich muss man immer wieder bedenken, dass die Interviews nicht stellvertretend für die komplette Szene sind sondern dennoch die Meinung eines einzelnen darstellen. Was die Jungs dort erzählen ist also nicht nur eine persönliche Meinung über Männlichkeit / Weiblichkeit, sondern ebenso auch ein sehr individueller Einblick in die unterschiedlichen Subkulturen. Einige Male musste ich verzweifelt mit dem Kopf schütteln, weil ich mich in meiner Subkultur absolut missverstanden fühlte und dachte "oh Mist, hoffentlich denken die Leser nicht, dass alle Gamer / Biker / Sportler so ticken".

Das Buch tut unglaublich gut, wenn man auf der Suche nach Männlichkeit ist. Denn dadurch, dass so viele verschiedene Meinungen gegenüberstehen, wird dem Leser immer wieder gezeigt "es gibt nicht DEN Mann, finde Deinen eigenen Weg, alles ist okay". Und egal, welche Einstellung man vertritt, findet man mehrere Interviews, die den Rücken stärken und zeigen "Du bist nicht allein mit Deiner Einstellung". Ob man nun die Achseln rasiert, Brauen zupft, ins Solarium geht, beim Bodybuilding das letzte Gramm Fett verliert, sich ständig prügeln muss und ständig in Konkurrenz steht, ob man sich schminkt, feingeistige Erbauung sucht oder sich lieber prügelt und durch den Schlamm robbt - in diesem Buch ist einfach alles vertreten.

Wer wissen möchte, wie andere Menschen Männlichkeit definieren und was den Mann zum Mann macht, der wird in diesem Buch auf jeden Fall fündig. Ich empfand die Interviews als große Bereicherung.

SaschaSalamander 07.11.2016, 09.13

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