SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Psychotherapeutische Arbeit mit trans*Personen

Klappentext:

Wie können trans*Personen vor, während und nach ihrer Transition respektvoll und kompetent im Gesundheitssystem beraten und in der Psychotherapie begleitet werden? Durch die Vielfalt von Genderidentitäten, -ausdrucksweisen und Erfahrungen der Behandlungssuchenden treffen Therapeut_innen auf ein großes Spektrum von Bedürfnissen, denen sie nur unvoreingenommen gerecht werden können. Dieses Buch hilft bei diesen Anforderungen, indem es die psychosozialen und medizinischen Grundlagen darstellt. Leser_innen bekommen nicht nur einen Überblick über die aktuellen Versorgungsstandards und -möglichkeiten im Bereich der Psychotherapie bei Transsexualität. Das Buch rückt auch die Perspektiven unterschiedlichster trans*Lebensweisen in den Vordergrund, sodass ein Dialog auf Augenhöhe möglich wird.


VORAB

Kürzlich erschien das Buch PSYCHOTHERAPEUTISCHE ARBEIT MIT TRANS*-PERSONEN - HANDBUCH FÜR DIE GRUNDVERSORGUNG. Für mich zum genau richtigen Zeitpunkt, weil ich mich inzwischen nicht mehr nur privat sondern auch beruflich engagiere. Bisher gibt es nur sehr wenig Literatur zu diesem Thema (zB Udo Rauchfleisch). Und wenn, dann ist ein Fachbuch zu diesem Thema in gesellschaftlicher, sozialer und medizinischer Hinsicht sehr schnell veraltet. Daher war ich dankbar, dass mit diesem Titel nun ein aktuelles und ausführliches Werk erschienen ist.


ZIELGRUPPE

Das Buch richtet sich inhaltlich vor allem an diejenigen, die in Therapie und Beratung arbeiten. Aber da es viele Überschneidungen in den Arbeitsfeldern gibt, wendet es sich auch an alle am Behandlungsprozess beteiligten Personen, sei es professionell, ehrenamtlich oder als Aktive*r. Es bietet neben fachlicher Information auch sehr gute Argumentationshilfen für die Notwendigkeit einer besseren Unterstützung für Betroffene und Angehörige. 

Es ist nicht erforderlich, Vorkenntnisse zu haben, das Buch erklärt von Grund auf das Thema Geschlecht, Gender und Identität und geht dann punktuell in die Tiefe. Besonders interessant halte ich es deswegen für Berater*innen und Therapeut*innen, die noch keine Erfahrung haben aber sich auf diesem Gebiet stark machen möchten. 


AUTORENTEAM

Mari Günther ist Systemische Therapeutin in eigener Praxis sowie in der Inter* und Trans* Beratung QUEER LEBEN in Berlin. Durch ihre eigene Trans*Identität hat sie einen reflektierten Blick auf beide Seiten der Betroffenen wie Fachpersonen und benennt klar den Zwiespalt zwischen der durch Pathologisierung entstehenden Verletzungen sowie die Möglichkeiten, welche eine trans*respektvolle und trans*kompetente Psychotherapie bieten kann. Sie schrieb 2016 auch den >Leitfaden für Inter- und Transberatung< für Pro Familia, auf den heute gerne zurückgegriffen wird. Es gäbe noch viel zu ihrer Arbeit zu sagen, statt dessen ein Link auf ihre >Website<.

Dr. phil. Kirsten Teren zeigte schon in ihrer Jugend gendernonkonformes Verhalten, die daraus resultrierende Diskriminierung ist ihr Antrieb, an diesem Buch mitzuwirken. Sie arbeitet als Psychotherapeutin und als Gutachterin im Rahmen des TSG.

Dr. phil. Gisela Wolf lebt und liebt ebenfalls nicht genderkonform und musste diesbezüglich in ihrer Jugend negative Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem machen. Sie sammelte Erfahrung in verschiedenen queeren Tätigkeitsfeldern, seit 2014 arbeitet sie als Psychotherapeutin in Berlin und schreibt Gutachten im Rahmen des TSG. 

Sehr gut finde ich, dass alle beteiligten Autoren also nicht aus einem Elfenbeinturm heraus ihr Urteil fällen, sondern neben ihrer fachlichen Arbeit auch eigene Erfahrungen einbringen. Dadurch ist das Buch zwar sachlich, zugleich aber auch feinfühlig und positiv.


SPRACHE

Das Buch ist sensibel, respektvoll und sympathisch in genderneutraler Sprache geschrieben. In einem eigenen Kapitel zu Beginn erklären sie unterschiedliche Möglichkeiten der Anwendung von _ und * und weiteren Varianten sowie die Gründe, wann sie welches anwenden. 

Trotz gelegentlicher Unterstriche und Sternchen ist es einfach zu lesen. Das finde ich besonders wichtig: viele modernen Fachbücher werden völlig unlesbar, weil sie mit Gewalt alles neutral pressen möchten. Dem Autorenteam dagegen merkt man an, dass sie geübt sind und viele gute Formulierungen haben, mit denen man unnötig sperrige Texte elegant umgeht. 

Auch sonst ist mir die Sprache in diesem Buch positiv aufgefallen: jedes Wort wird sehr achtsam angewendet. Sie zeigen die Fallstricke, mit denen vermeintlich harmlose Formulierungen im Gespräch eine Heteronormativität bzgl Körper, Familienkonstellation, Orientierung oder Neigung voraussetzen und dadurch verletzen können. Sie nennen gute Ideen, dies zu umgehen und bessere Worte zu finden.


DUKTUS / EINSTELLUNG

Das Autorenteam übt Kritik, zB an der aktuellen Situation in Deutschland (TSG, MDK, Richtlinien usw), dies geschieht jedoch sachlich und konstruktiv ohne anzuklagen oder aggressiv zu bashen. Sie bleiben konstruktiv, schildern sachlich die Notwendigkeit einer Änderung und beziehen klar Stellung.

Das gesamte Buch liest sich liebevoll und nicht wertend. Sie setzen sich klar für eine trans*affirmative Versorgung ein und geben Ideen, wie auch in schwierigen Fällen eine positive Versorgung möglich gemacht werden kann. 

Auch bei Themen, die innerhalb der Community kontrovers diskutiert werden (zB Re/Detransition) bleiben sie wohlwollend und sachlich. Die Veränderlichkeit des geschlechtlichen Empfindens ist kein Grund, am eigenen TransSein oder der Trans*Identität des zu Behandelnden zu zweifeln sondern eine Chance der persönlichen Entwicklung. Mit zwei Zitaten möchte ich das kurz belegen und auch zeigen, warum ich die Wortwahl so angenehm empfinde:

"Weiterhin verstehen wir die geschlechtliche Identität als eine im biografischen Verlauf in Maßen veränderliche, vom Kontext mitkonstruierte, aber nicht durch Fremdeinwirkung zu verändernde persönliche Gewissheit" (S. 20)

"[...] eine Gesellschaftsstruktur, in der trans*geschlechtliche Lebensweisen häufig noch nicht als selbstverständliche Bereicherungen menschlicher Vielfalt betrachtet werden [...] (S. 23)


INHALTE DES BUCHES

Das Buch nähert sich dem "liebenswerten Phänomen der Trans*geschlechtlichkeit" aus verschiedenen Perspektiven (S. 19). Es geht auf das Problem der Pathologisierung und die Notwendigkeit des Leidensdrucks ein, die beide für die Gewährung von Operationen, Hilfsmitteln und juristischen Schritten erforderlich sind. Auch die Schwierigkeit, als Gutachter offen über Dinge schreiben zu sollen, die vertraulich im Therapierahmen genannt wurden, wird benannt. Dass für den Trans*Weg eine Diagnose gestellt werden muss (hier wird genau aufgegliedert, welche es gibt und wie sie anzuwenden sind), obwohl dies nur die betroffene Person selbst tun kann, ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Zudem gibt es oft Konflikte mit Ämtern und der Krankenkasse sowie auch in der Behandlung, sobald psychische Erkrankungen hinzukommen. Diese Fälle macht das Autorenteam den Lesenden klar bewusst und zeigt Lösungsansätze bzw Möglichkeiten, dies gemeinsam mit den Betroffenen zu klären.

Auch die Therpeut*innen und Beratenden selbst werden genau betrachtet. Das Buch zeigt auf, wo das eigene Weltbild mit der Arbeit kollidieren kann, wie eigene Wertvorstellungen infrage gestellt werden und welche Irritationen passieren können. Selbst, wer bereits damit erfahren ist, tut gut darin, sich diese Punkte gelegentlich ins Bewusstsein zu rufen und sich persönlich damit auseinanderzusetzen. Auch der Fall, wie Therapeut*innen mit eigenem gendernonkonformem Hintergrund dies in der Arbeit einbringen oder zurückhalten können, wird geschildert.

In anderen Büchern hatte ich oft das Gefühl "mir fehlt dieses und jenes Thema". Hier dagegen werden tatsächlich sehr viele Sonderfälle benannt, die ein unglaublich großes Spektrum abdecken. Natürlich kann nicht jede Besonderheit auf vielen Seiten ausdiskutiert werden. Doch allein die Erwähnung sorgt für Sichtbarkeit und zeigt, wie unterschiedlich Menschen sind. Polyamore Beziehungskonstrukte, Intersektionalität zB durch Sexwork, Obdachlosigkeit, Migrationshintergrund, Behinderung und vieles mehr werden kurz benannt und zeigen den Lesenden, dass der Mensch als Ganzes wahrzunehmen ist statt sich alleine nur auf den juristischen und medizinischen Weg des Themas "Geschlecht / Gender" zu beschränken.

Es gibt viele Themen, die während der Therapie akut werden können und im Buch genauer beleuchtet werden. Etwa die Auseinandersetzung mit der eigenen Homo- oder Heterosexualität, die Trennung der Eltern nach dem Trans*-Outing eines Kindes, Kinderwunsch im Zuweisungsgeschlecht, Isolation wenn alte Kontakte wegbrechen, Minderheitenstress, Klärung der eigenen Identität unabhängig von Körper, Gender und Geschlecht. Die thematische Vielfalt, die hier benannt wird, geht deutlich über die Fachbücher hinaus, die ich bisher zum Thema Transition gelesen habe.

Angehörige bekommen einen eigenen Abschnitt im Buch, auch sie kämpfen mit Ängsten und Problemen, auch sie müssen sich outen, sich selbst hinterfragen, erleben eine Veränderung ihrer bisherigen Situation.

Auf Kinder und Jugendliche geht man dann noch einmal speziell ein. Welche Möglichkeiten gibt es vor und während der Pubertät, sie im Elternhaus und in den Einrichtungen zu unterstützen? Wie ist die medizinische und rechtliche Situation?

Zum Abschluss skizziert das Buch Indikationen, Befunde, Stellungnahmen und Gutachten. Es wird genau erklärt, welche Inhalte gemäß den S3 Richtlinien in den einzelnen Schreiben zu finden sein müssen und was in den Formulierungen hierbei zu beachten ist. Besonders für Therapeut*innen, die eine Trans*Person begleiten möchten aber noch keine Erfahrung hierbei haben, ist dies sehr gut erklärt.


EIGENE MEINUNG

Es ist ein Fachbuch. Deswegen mutet dieser Satz jetzt seltsam an, aber: das Lesen tat gut, mein Herz hüpfte bei manchen der Formulierungen, ich habe sehr oft gestrahlt und gelächelt. Es tatgut, dieses Buch zu lesen. Der Schreibstil ist zwischen den sonst so trockenen und pathologisierenden Fachbüchern eine Wohltat.

In vielen Fachbüchern wird ÜBER den Menschen geredet statt MIT ihm, er verschwindet zwischen all den Fachbegriffen und Erklärungen. Hier dagegen wurde nicht das Machtgefälle Therapeut*in / Klient*in geschildert sondern ein gemeinsames Miteinander mit allen möglichen Varianten, welche dieser spannende Weg der Transition mit sich bringt. Ich hatte nicht das Gefühl, der Sonderling unter den Exoten zu sein, hier fühlte ich mich als Mensch angesprochen und wahrgenommen. Das Buch zeigt auf wunderbare Weise alle Facetten des individuellen Trans*Seins, nimmt jeden an und weckt Verständnis für die unendliche Vielfalt des Menschseins.


FAZIT

PSYCHOTHERAPEUTISCHE ARBEIT MIT TRANS*PERSONEN ist ein höchst aktuelles und durch und durch positives Handbuch für alle, die mit Trans*Personen arbeiten. Nicht nur, aber ganz besonders möchte ich es Therapeut*innen und Beratenden ans Herz legen, die bisher noch keine Erfahrung auf diesem Gebiet haben und sich gerne näher damit befassen möchten. Es bietet einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation in Deutschland.

SaschaSalamander 08.01.2020, 09.42

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